Es ging bei dieser Reise, die von MB Mission / Missiosorganisation organisiert wurde darum, die sechs Gemeinden und ihre Filialen im Süden der Ukraine, (unserer ehemaligen Heimat der Molotschna Kolonie) zu besuchen, von ihnen zu lernen und zu sehen, wie wir partnerschaftliche Beziehungen aufbauen können, um uns gegenseitig zu bereichern.
Drei Brüder aus Kansas, 6 Männer und eine Frau aus Kanada und ich von Paraguay bildeten die Gruppe, die von Phil Wagler (MB Mission) angeleitet wurde.
Die erwähnten Gemeinden wurden in ihren Anfängen von John Wiens und seiner Frau, von Kanada sozusagen, ins Leben gerufen. Er hat eine Gruppe von 5 jungen Männern, die Gott und der Gemeinde dienen wollten, begleitet und sie stark geprägt. Sie sind jetzt auch die Leiter dieser Gemeinden. Die Gemeinden sind recht jung und klein. Die zwei Gemeinden in der Stadt Zaparovizja und Berdjansk am Asowschen Meer, haben meiner Meinung nach Zukunft, da es in diesen Städten viel junge Menschen und Familien gibt. Die Gemeinden im Inland, in der ehemaligen Molotschna Gegend, scheinen eher weniger Zukunft zu haben. Die Menschen leben dort sehr ärmlich und das wirtschaftliche Fortbestehen kann dort anscheinend nicht gedeihen, da die Leute kein eigenes Land besitzen, oder zumindest davon nicht leben können.
Zwei Gemeindegründungsprojekte befinden sich momentan in der Kriegszone und kämpfen um das wirtschaftliche und geistliche Überleben. Es gibt viel Leid und Misstrauen, auch unter den Gottesdienstbesuchern. Noch nie hatte ich die Gelegenheit, in Reichweite der Bomben zu predigen, die hin und wieder auch an diesem Sonntag in Adeevka zu hören waren. Misstrauisch wurde ich während der Predigt von einer Frau beschimpft, warum wir Amerikaner den Ukrainern Waffen lieferten.
Persönlich war ich wohl derjenige, den der geschichtliche Teil am meisten interessierte und wo ich gerne auch noch mehr gesehen hätte. Bei einigen Gelegenheiten schlich ich mich von der Gruppe fort und ging entlang der Dorfstraße unserer ehemaligen Dörfer. So auch in Halbstadt, vorbei an den noch recht gut erhaltenen Wohnhäusern, vorbei an der ehemaligen Mädchenschule, der zweistöckigen Zentralschule und den Fabriken, wobei ich ein tiefes melancholisches Gefühl empfand. Hier lebten und gingen auch meine Vorfahren. Ich musste mich unweigerlich fragen, was ist von uns an diesem Ort der Erde geblieben? Kaum einer erinnert sich an unsere Vorfahren. Es gibt keine Personen, jedenfalls haben wir keine gefunden, die noch Plattdeutsch sprachen oder irgendwie einen mennonitischen Namen hatten. In Berdjansk wurde uns vom Gemeindeleiter der jungen Gemeinde erzählt, dass es 1943-1944 noch ein Quader von ungefähr 12 mennonitischen Familien gab. Als die Sowjets vorstießen und die deutschen Truppen abzogen, entschieden sie sich zu bleiben, was sie teuer mit dem Leben bezahlen mussten. Jung und Alt, Frau und Kind, wurden an die Wand gestellt und alle wurden mit den Maschinengewehren niedergemäht, worauf ein Bulldozer heranrückte und alle Häuser zusammenschob und das Land nivellierte.
Genauso die Gemeindehäuser, ob jetzt die Mennoniten Gemeinde in Nikolaipole oder die Brüdergemeindehäuser der ersten MBG-Gemeinden in Rückenau oder Petershagen, alle sind ruiniert und verschandelt von der ehemaligen Sowjetregierung.
Wenn man dann die Geschichten der eigenen Verwandten und vieler anderer liest und diese geschichtsträchtigen Orte des Erfolgs und zugleich des Leidens unserer Vorfahren sieht, fragt man sich: Sind wir von dieser bitteren Vergangenheit unserer Vorfahren heil geworden? Haben wir vielleicht noch etwas zu vergeben, als Einzelne oder vielleicht auch kollektiv? Inwiefern hat uns diese Geschichte in unserem Sein als Einzelne, Gemeinden und Gesellschaft geprägt? Inwiefern sind wir nicht nur Opfer gewesen, sondern auch Täter und wo sind wir es heute vielleicht wieder?
Horst Dieter Janz,
Ost- MBG
Dieser Artikel wurde entnommen aus der September-Oktober Ausgabe der Zeitschrift Gemeinde unter dem Kreuz des Südens (GuKS) welche herausgegeben wird von der Vereinigung der Mennoniten Brüder Gemeinden Paraguays. HIER können sie die ganze Ausgabe lesen.