Die so genannten ‘Harbiner’ waren eine besondere Schicksalsgemeinschaft. Als die Lage unter dem Kommunismus in Russland 1927 immer schlechter wurde, beschloss eine große Gruppe aus der Slavgorod Gegend, ostwärts an die chinesische Grenze und in die Nähe Japans zu ziehen. Die geistliche Gemeinschaft wurde vertieft durch die Flucht über den Amur in der Nacht vom 19.-20. Dezember 1929 bei -40 Grad Kälte. In der Stadt Harbin, damals das Paris des Ostens, verlebten sie ein dramatisches Jahr. Jedermann suchte Arbeit und man sparte für die große Ozeanreise, von Shanghai über den Indischen Ozean und Suezkanal (wo Evangelist Jakob Wall den Kindern an der Schiffsreling zeigte, wo die Israeliten durchs Rote Meer gezogen waren), über Frankreich und den Atlantik bis hin nach Fernheim. Hier wurden die Dörfer 14, 15, 16 und 17 gegründet.
Die Mehrheit der Harbiner waren schon von Russland her Brüdergemeindler; wieso, ist nicht ganz klar. Damit die Geschichte nicht zu einseitig würde, beschloss Prediger Jakob Isaak aus der Mennoniten Gemeinde, späterer Ältester, seinen Wohnsitz von Auhagen, Nr. 9, ins Dorf 14 zu verlegen. Fortan war er neben den MB Predigern Jakob Wall, Johann Schellenberg, Heinrich Klippenstein, David Friesen, Martin August, Franz Sawatzky, Jakob Penner und David Hein eine wichtige geistliche Stütze in der Harbiner Ecke.
Am 22. Mai 1932 gab es die erste Gemeindeversammlung, in der Johann Schellenberg einstimmig zum Leiter der Orloffer MB Gemeinde gewählt wurde mit 140 eingeschriebenen
Gründungsmitgliedern. Neben den genannten Predigern waren auch die ordinierten Diakone Peter Loewen und Jakob Wiens, sowie der Chordirigent David Friesen von Anfang an mit dabei.
Schon auf der 2. Gemeindestunde (31. Juli 1932) wird über ein ‘Statut für die Heiden-Missionsstation’ beraten. Auch fertigte man eine Liste an, wo Geschwister notiert wurden, die ohne einen triftigen Grund von der Gemeindestunde fernblieben. Sehr früh wurde Jakob Wall als Evangelist für die Dörfer Fernheims und auch für die Ukrainer um Encarnación und Posadas herausgesetzt. Man erlaubte ihm auch, sein Verständnis vom ‘Heilsplan’ (mit großen gemalten Graphiktafeln) auszulegen, wenn das Dorf es wünschte.
Die Chacohitze brachte manche neuen ethischen Fragen mit sich. So heißt es im Protokoll vom 15. Februar 1933, man “macht es den Gliedern und den erwachsenen Söhnen zur Pflicht, sich nicht auf öffentlichen Plätzen und auf Wegen ohne Hemd zu zeigen.”
Am 12. Februar 1933 gab es ein großes Tauffest. “Die Taufkandidaten wurden erst in ihren Dörfern von den Geschwistern vorgeprüft und dann für die Prüfung vor der ganzen Gemeinde empfohlen. Dabei legte man besonders Gewicht auf eine klare Wiedergeburt und einen veränderten Lebenswandel. Die 12 Gemeinderegeln, die man auch in Russland gehabt hatte, wurden den Täuflingen vorgelegt.” (Korny Neufeld, Die Geschichte der Karlsruher Mennoniten Brüdergemeinde, unveröffentlichtes Manuskript).
Die Abwanderung der Friesländer lichtete sehr stark die Reihen, bei den Predigern und auch im Chor. Auch die ‘völkische Zeit’ mit ihrer Parole ‘Heim ins Reich’ bzw. in die Ukraine verursachte eine ernste Erschütterung. Abram Friesen sagt dazu: „Was gäbe es Schöneres, als einmal den trüben Chaco auf die gute alte russische Heimat vertauschen zu dürfen.“ Dass auf so ein Lockmittel eventuell auch der Frömmste hereinfiel, war verständlich […] Im Eifer des Gefechts wurde man bitter und entzog sich dem Bruder… Man ging so weit, dass man den Andersdenkenden aus dem Volksbund strich […] Für Abendmahl und Erbauung war wenig Raum, denn während in Europa an der Ostfront Tausende ihr Leben ließen, führten wir in Fernheim einen indirekten kalten Bruderkrieg […] da wir in unserer Gemeinde große Hitzköpfe hatten, die sich vom Geiste Gottes schlecht leiten ließen.” (Willy Janz und Gerhard Ratzlaff, Gemeinde unter dem Kreuz des Südens, 138-140)
Nach dem Zusammenbruch und der Versöhnung baute man gemeinsam mit der Mennoniten Gemeinde ein ‘Bethaus’: 21,40 Meter lang und 8,60 Meter breit. Um ein Baukonto anzufertigen, wurde jeder Familie die Gelegenheit gegeben, ein Rind zu spenden. Der ehrwürdige Prediger B.B. Janz aus Kanada war gerade für Versöhnungsarbeit da und sprach das Weihegebet.
58 Jahre hat die Orloffer MBG im Segen gearbeitet, mit ihrem wunderbaren Chor, guter Kinder- und Jugendarbeit, ihrem Missionssinn und ihrem starken Zusammenhalt der Dörfer jener Ecke.
Die letzten Gemeindeleiter waren Jakob und Susi Klassen. Aus verschiedenen Gründen schrumpfte die Gliederzahl bis auf 64 herab, auch wenn insgesamt ca. 200 Personen getauft wurden. Deshalb begann man am 2. Oktober 1988 über einen Anschluss an die MBG Filadelfia nachzudenken, der dann mit mehr als 75% der Glieder bestätigt wurde. 49 Glieder schlossen sich 1990 der neu gegründeten Ost MBGanund14derMBGFiladelfia.Am 28. Oktober wurde eine denkwürdige ‘Abschiedsgemeindeversammlung’ gefeiert. Man erinnerte sich an die ersten zwei Lenguamissionare, die aus dieser Gemeinde hervorgegangen waren, an das Jahr 1953, in dem 33 Menschen getauft wurden, etc. Der Auflösungsakt wurde unterschrieben und man nahm Abschied vom Hof und Bethaus sowie von manchen Geschwistern, mit denen man nicht mehr in derselben Gemeinde sein würde.
Alfred Neufeld
Dieser Artikel wurde entnommen aus der Mai-Juni Ausgabe der Zeitschrift Gemeinde unter dem Kreuz des Südens (GuKS) welche herausgegeben wird von der Vereinigung der Mennoniten Brüder Gemeinden Paraguays. HIER können sie die ganze Ausgabe lesen.