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Charismatik und Anticharismatik

Für Wilma und mich ist es immer schön, in die Heimatgemeinde unserer Jugendzeit in Filadelfia zurückzukehren: so viele Erinnerungen, das Taufbecken auf dem Hof, die Laube, der alte Stall…40 Jahre lang ist unser erster Wohnsitz nun nicht mehr dort.

Die Jugend der MBG Filadelfia wollte an zwei Abenden über „Neue geistige Strömungen“ nachdenken. Sowohl das etwas radikale Buch „Fremdes Feuer“ vom alten calvinistischen Radioprediger John MacArthur, als auch der Besuch mit ‚Heilungsseminaren’ in der Tradition der frühen Pfingstbewegung um den Afrikamissionar John Lake (ca. 1910) hatten manche Jugendliche bewegt und wohl auch teilweise verunsichert.

Es kam dann in den zwei Tagen im Juni zu wertvollen Begegnungen und Gesprächen. Jahrzehntelang war ich bei den meisten ‚Komitees’ der Jüngste. Nun plötzlich bin ich oft der Älteste und sowohl Jugendliche als auch ehemalige IBA Studenten nennen mich ‚Onkel Alfred’. Das hab ich übrigens gern. Es klingt ein bisschen nach ‚Ohm’.

In den Tagen werden bei mir alte Erinnerungen wach: das Ringen zur geistlichen Beurteilung der „Geistesbewegung“ Anfang der siebziger Jahre, Jugendevangelisationen in Mariscal Estigarribia mit Felipe Saint aus der Pfingsterneuerung in Córdoba, Einzug in Filadelfia der sogenannten „Geschäftsleute des vollen Evangeliums“, die dramatische und schmerzhafte Entstehung der „Gemeinde Jesu Unterwegs“ und die späteren Versöhnungsbemühungen und die Lehrpredigten mit David Ewert, der uns damals trocken und weise sagte: „Ob ich den Heiligen Geist habe, das können meine Nachbarn besser beurteilen als ich selbst“.

Ich habe in den letzten ca. 40 Jahren meines Lebens sowohl von „Charismatikern“ als auch von „Anticharismatikern“ manches gelernt. Freunde hab ich bis heute in beiden „Lagern“, was beide Seiten gelegentlich etwas frustriert.

Ich glaube, Bernhard Ott hat Recht. Er behauptet, die sogenannte charismatische Erneuerung kann uns als „Horizonterweiterung“ dienen: Gott mit Begeisterung loben und dienen, außerordentliche Kraftwirkungen von Gott erwarten, dem Geiste Gottes nicht zu schnell institutionell Grenzen setzen, all das tut uns gut und hilft uns, nicht gesetzlich und kleinkariert zu werden.

Und dann spricht Bernhard auch von der Gefahr einer „Horizontverengung“ in der charismatischen Frömmigkeit: Zungenrede, Wunderheilungen, prophetische Zukunftsrede, all das spielt in der Bibel ja eher eine Nebenrolle, will aber leicht zur zentralen Attraktion und Beschäftigung bei der Pfingstfrömmigkeit werden.

Wie schwer, aber auch wie wichtig ist es doch, biblisches Gleichgewicht zu halten. Für Jugendliche klingt das etwas langweilig, denn man braucht ja Adrenalin in diesem Alter. Aber seien wir einmal ehrlich: nichts ist schlimmer im Alltagsleben, als „Gleichgewichtsstörungen“! Nicht einmal Motocross kann man fahren, wenn es mit dem Gleichgewicht nicht stimmt!

Alfred Neufeld
MBG Concordia