1. Einführung
Das vorliegende Dokument soll folgenden Zweck erfüllen:
- Allgemeine biblisch-theologische Orientierung in Fragen der Politik geben.
- Orientierung in Entscheidungsprozessen bieten.
- Hilfestellung zu einer persönlichen Meinungsbildung aufgrund biblisch gegründeter Überzeugungen sein.
- Verbindliche Richtlinien für den Verkündigungs- und Lehrdienst liefern.
2. Begriffsklärung
Die biblischen Grundprinzipien der Bibel zum Thema Christ und Staat stehen fest und sind verbindlich, auch wenn die Anwendung derselben je nach Situation oder historischem Kontext verschieden aussehen kann. Die Rolle der Gemeinde Jesu im Rahmen eines totalitären Staates, wie z.B. des römischen Reiches zur Zeit des N.T. unterscheidet sich von der Rolle des einzelnen Gemeindegliedes in einem demokratischen Staatswesen, in dem die Zivilrechte respektiert werden.
Politik wird daher in diesem Dokument allgemein als Sorge um das Gemeinwohl verstanden. Sie ist ein notwendiges Instrument geordneten Zusammenlebens im Kontext einer von Gott abgefallenen Menschheit und innerhalb von Strukturen, die unter der Sünde stehen.
Prinzipiell gilt für den Jünger Jesu, dass Gemeindebau und Diakonie seine wertvollsten und wichtigsten Beiträge für das Gemeinwohl sind und nicht durch politischen Einsatz ersetzt werden können. Damit wird aber nicht gesagt, dass jegliches politisches Engagement eines Christen ausgeschlossen ist.
3. Kriterien zur Entscheidungsfindung
Ein Gemeindeglied lebt in einem verbindlichen Verhältnis zu Christus und zur Gemeinde. Ein Christ trifft seine Entscheidungen daher aus der Gesinnung Christi heraus. Größere Entscheidungen, die in ihren Auswirkungen sowohl die Gemeinde als auch die gesellschaftliche Öffentlichkeit betreffen, werden nicht im Alleingang, sondern stets mit großer Sorgfalt unter Mitberatung der Gemeinde getroffen. Das Schriftverständnis der Gemeinde ist im Glaubensbekenntnis festgehalten und dient dabei als Orientierungsrahmen (siehe Art. 3, 5, 6, 7, 13, 14, 15, und Röm. 13 und Offb. 13).
4. Prinzipien zur Frage nach der Beteiligung in der Politik
- Wir glauben, dass Gott nicht in erster Linie durch den Staat oder die Regierung, sondern durch die Gemeinde spricht, handelt und Geschichte macht. In allen Berufen ist es die Aufgabe des Jüngers, seine christliche Diensthaltung zum Ausdruck zu bringen. Darum machen wir Mut, solche Berufe auszuüben, die diese Haltung am besten ermöglichen und solche Berufe zu meiden, die christliche Jüngerschaft und Diensthaltung schwächen oder den Jünger Jesu in diesen Bereichen zu unbiblischen Zugeständnissen zwingen.
- Folgende Kriterien sollen uns im Rahmen der Gemeinden helfen, zu gesunden Überzeugungen in Fragen der Politik zu kommen. Wir unterscheiden zwischen:
- Verwaltung des Gemeinwesens im Rahmen deutsch-mennonitischer Kolonien,
- Beeinflussung der Politik durch Gemeinden und christliche Organisationen,
- Bekleidung eines Regierungspostens,
- Parteipolitik,
- fanatischem Patriotismus und militantem Nationalismus.
- Verwaltung des Gemeinwesens, wie wir sie z.B. im Rahmen der mennonitischen Kolonien praktizieren, gibt vielfältige Dienstmöglichkeiten in der Sorge um das Gemeinwohl. Diese Dienste lassen sich zu einem großen Teil mit biblischen Prinzipien und der Ethik Jesu verwirklichen. Das liegt auch vor allem daran, dass ein hoher Prozentsatz der Koloniebewohner Gemeindeglieder und überzeugte Christen sind. Daher ist „politischer Einsatz“ bei dieser Art von Basisarbeit recht erfolgreich gewesen und hat manche Modelle geschaffen, die auch für das ganze Land zum Segen sein können. Dennoch ist diese Art von „politischem Einsatz“ nicht automatisch gleichzusetzen mit der großen Landes- und Parteipolitik, da viele der Voraussetzungen und Gegebenheiten unterschiedlich sind.
- Da es Aufgabe der Gemeinde ist, Salz und Licht in der Welt zu sein, ist die Beeinflussung politischer Prozesse und Entscheidungen durch ein christliches Zeugnis möglich und sinnvoll. Diese Aufgabe wurde schon von den Propheten und auch von den ersten Christen wahrgenommen (siehe z.B. Jer. 46 – 52; Apg. 22 – 26). Auch die mennonitischen Gemeinden haben gewisse Entscheidungen der Regierung beeinflusst, wenn diese auch stärker auf ihre eigene Situation beschränkt waren. Solche Art des Einflusses sollte im Rahmen einer Vereinigung und in Absprache mit anderen Gemeindeverbänden gezielt vollzogen werden.
- Die Bekleidung eines Regierungspostens durch einen christlichen Staatsbürger kann gegebenenfalls einen positiven Einfluss auf regionale oder nationale Entscheidungen und politische Prozesse zur Folge haben. Wenn sich jemand entscheidet, einen Posten im Rahmen der Regierung zu übernehmen, sollte er diese Entscheidung im Sinne von Punkt 3 treffen. Die Gemeinde hat den Auftrag, ihn als Person und Glied am Leib Christi seelsorgerlich zu begleiten.
- Parteipolitik gehört zu einem demokratischen Staatswesen. Eine politische Partei verlangt von ihren Mitgliedern vielfach absolute Treue den Parteiprinzipien und –interessen gegenüber, die oft so von der Gemeinde nicht mitgetragen werden. Parteipolitik charakterisiert sich vielfach auch durch ein aggressives Verhalten in Wort und Reklame, und beeinflusst unseren evangelistischen Einsatz und unser geschwisterliches Verhältnis in der Gemeinde negativ. Daher wollen wir vor Parteipolitik warnen.
- Fanatischer Patriotismus und militanter Nationalismus sind mit einem christlichen Wandel und der biblischen Lehre unvereinbar. Die Gemeinde Jesu fördert nämlich eine Einheit unter Christen aller Nationen, und die Liebe zum Vaterland darf die Ehtik Jesu nicht verdrängen.
- Wie in allen Lebenssituationen, so gilt auch in politischen Fragen, Treue zum Weg und zur Gesinnung Christi an erste Stelle zu setzen. In Entscheidungssituationen, in denen die Treue zu Jesus im Widerspruch zu politischen Verpflichtungen steht, entscheidet der Christ sich für die Christusnachfolge.
5. Ordinierte Prediger und Politik
Predigern (Botschaftern an Christi statt) wird im Prinzip abgeraten, ein politisches Amt bzw. einen Regierungsposten zu bekleiden. Falls ein ordinierter Prediger aber doch so einen Posten bekleidet, empfehlen wir, dass er während der Amtszeit seine Funktionen als ordinierter Prediger nicht ausübt. Gründe dafür sind:
- Laut unseren Grundsätzen zur Ordination ist diese eine Gemeindeordnung mit Öffentlichkeitscharakter, die die Gemeinde und ihre Diener vor dem Chaos bewahrt. Die Erfahrung zeigt, dass politisches Engagement schnell zu Uneinigkeiten oder Konflikten in der Gemeinde führen kann. Dieses Risiko ist noch größer, wenn es sich um die Führungspersonen der Gemeinde handelt.
- Der Verkündigungs- Lehr- und Seelsorgedienst darf nicht für politische Zwecke und Interessen genutzt bzw. missbraucht werden.
- Politische Macht und geistliche Autorität dürfen nicht vermischt und verwechselt werden.
- Eine berufspolitische Karriere ist eine bewusste Prioritätsverlagerung gegenüber der Berufung zum Predigtdienst und Gemeindebau, wie sie sich im Ordinationsversprechen äußert.
- Das nationale Grundgesetz sieht vor, dass religiöse Führer und Presseleiter ihr Amt niederlegen sollen, wenn sie für einen Posten im Parlament, als Präsident bzw. Vizepräsident oder als Minister gewählt oder ernannt werden. Dafür stehen folgende Artikel des Grundgesetzes:
Artículo 197: «No pueden ser candidatos a senadores ni a diputados:
… 5) los ministros o religiosos de cualquier credo.»
Artículo 235: «Son inhábiles para ser candidatos a Presidente de la República o Vicepresidente:
… 5) los ministros de cualquier religión o culto.»
Artículo 241: «Para ser Ministro se exigen los mismos requisitos que para el cargo de Diputado. Tienen, además, iguales incompatiblidades que las establecidas para el Presidente de la República, salvo el ejercicio de la docencia…»
(Dieses Dokument wurde vom Ältestenrat der Vereinigung der M.B.G. Paraguays erarbeitet, in „Gemeinde unter dem Kreuz des Südens“ publiziert, mit den Gemeinderäten diskutiert und aufgrund schriftlicher Eingaben und Änderungsvorschlägen im November 2002 auf einer Ältestenratsitzung revidiert. In der gegenwärtigen Form wurde es auf der Delegiertensitzung der M.B.-Gemeinden Paraguays am 2. Februar 2003 angenommen.)
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